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BerichtJonathan Heck, Duque de Caxias/ Brasilien,

1.Bericht
August 2008

Es war fünf Uhr morgens, als ich mit den anderen Freiwilligen, die ebenfalls ihren Dienst für ein Jahr in Brasilien ableisten, am 8. August am internationalen Flughafen in Rio de Janeiro ankam und einen mittefünfzigjährigen, schon grauhaarigen Mann mit einem Blatt Papier, auf dem mein Name zu lesen war, erblickte.
Später habe ich erfahren, dass das Geir ist, der Mann von der Direktorin des Heimes, in dem ich arbeite. Ich bin hier angekommen und konnte so gut wie kein Wort Portugiesisch sprechen, aber da ich in der Familie von Irani, der Direktorin, wie ein weiteres Familienmitglied aufgenommen wurde, fiel es mir nicht schwer die grundlegenden Dinge recht bald zu lernen. Auch die Angestellten des Heimes gaben und geben sich bis heute Mühe sich mir verständlich mitzuteilen und mich zu verstehen.
Die Organisation
Zur Entstehungsgeschichte des Heimes gibt es einiges zu erzählen, was ich jetzt kurz zusammenfasse: Vor mehr als zwanzig Jahren war Geir Feuerwehrmann, was hier bedeutet ein Angehöriger des Militärs zu sein und ein mittleres bis gutes monatliches Einkommen zu erhalten und Irani war die Leiterin einer Schule, die teils privat und teils staatlich angelegt war. Irgendwann entschloss sie sich für die Kinder, die vom Staat benachteiligt sind und in verstörten Familienverhältnissen und auf der Strasse leben, einzusetzen. Sie verkaufte ihren Anteil der Schule, baute ein Gebäude für die heimatlosen Kinder, nachdem sie in ihrem eigenen Haus keinen Platz mehr hatte und widmete ihnen ihr Leben und gab ihnen ein zu Hause und eine Zukunft. Mit Hilfe der deutschen Organisation “das Netz” und ihrer Familie, die körperlich und finanziell alles gab und bis heute gibt, ist aus der “verrückten Idee” einer Frau eine angesehene Einrichtung geworden. Diese Einrichtung versorgt Tag täglich Kinder und hilft zusätzlich anderen Kindern, die nicht im Heim aufgenommen werden können, das problematische Leben in der Armut der Unterschicht von Brasilien zu bewältigen. Unter ihrer Leitung stehen ebenfalls eine Art Kindergarten, der tagsüber Kinder aufnimmt, damit die Eltern arbeiten gehen können und ein Bazar (so etwas ähnliches wie ein Second- Hand- Shop aus gespendeten Dingen) der in einem kleinen Laden in Duque de Caxias zu finden ist.
Duque de Caxias
Duque de Caxias ist die Stadt in der die Familie wohnt und auch das Kinderheim ansässig ist. Die Stadt ist ca. eine Stunde vom Zentrum von Rio de Janeiro entfernt und hat etwa 2 Millionen Einwohner und ist nicht mit einer deutschen Stadt zu vergleichen; ihre Straßen haben zum Teil Schlaglöcher die 30 cm tief sind, wenn es regnet, steht das Wasser auf der Straße schon einmal bis zu den Knien. Von Zeit zu Zeit sieht man Pferde, die als Transportmittel verwendet werden; so gut wie jedes Haus ist im Bau und allgemein findet das Leben viel mehr auf der Straße statt.
Zu meiner Arbeit hier
ich war die ersten Wochen im Kinderheim auf der Baby-Station tätig. Dort sind Kinder untergebracht, die zwischen wenigen Tagen und 1,5 Jahren alt sind. Meine Aufgabe war die kleinen Geschöpfe zu unterhalten und das Fläschchen zu geben, während eine Angestellte die Übrigen wäscht, ihnen neue Kleider anzieht und immer wieder aufs Neue Windeln wechselt. Ich war ausgesprochen überrascht, wie das “arbeiten” mit Kindern einen erschöpfen kann, aber auch gleichzeitig den Tag komplett erfüllt, denn Kinder geben einem so viel, auch wenn sie nichts sprechen.
Die Schicksale einzelner Kinder, auch der älteren, die im Heim untergebracht sind, geben mir zu Denken. Vor ein paar Wochen war ein kleiner Junge bei uns, dessen Unterleib komplett eingegipst war, da seine Hüfte und seine Beine gebrochen waren. Sein Vater hatte ihn geschlagen und er konnte aus Kostengründen nicht im Krankenhaus bleiben. Ein anderes Kind, das jetzt schon fast drei Jahre alt ist und die Größe eines Einjährigen hat, ist über die Mutter an Syphilis erkrankt, was ihr Wachstum beschränkte und einen schmerzhaften Ausschlag an ihrer Vagina verursachte. Als ich neulich ein erst wenige Wochen altes Baby gefüttert und ihm auch Mal die Windel gewechselt hatte, hat es immer noch geheult. Ich fragte daraufhin eine Angestellte, was ihm denn noch fehlen könnte. Sie antwortete: “Mach dir keine Sorgen du hast alles für es getan, was du machen kannst. Das Kind heult, weil es auf Drogenentzug ist.“
Der Bazar
Die darauf folgenden Wochen arbeitete ich im Bazar, der von Woche zu Woche die Räumlichkeiten im Stadtzentrum von Rio wechselte und komplett aus gespendeten Dingen besteht. Diese Dinge werden verkauft und die Einnahmen kommen dem Kinderheim zugute.
In diesen 5 Wochen kam ich gezwungenermaßen mit anderen Leuten in Kontakt, was mir zugute kam, denn ich habe dadurch pro Tag die eine oder andere Vokabel gelernt. Manchmal traf ich auch jemanden, der Englisch oder sogar gebrochenes Deutsch sprach. In Duque de Caxias, wo ich wohne, ist es eine große Ausnahme, wenn jemand eine andere Sprache “verständlich” spricht.
In den vergangenen Wochen habe ich geholfen, die gespendeten Dinge zu ordnen, die in Duque de Caxias in dem kleinen Laden untergebracht sind und täglich “an den Mann” gebracht werden. Während Irani, die “Dona” des Kinderheimes, den Überblick über ein unglaubliches Chaos zuhaben scheint, bügle ich Kleider oder trage die etwas schwereren Sachen von A nach B und wenn die Mitarbeiterin, die normaler Weise dort arbeitet, aus gesundheitlichen oder privaten Gründen verhindert ist, kommt es auch mal vor, dass ich einen Tag alleine im Laden verkaufe und ihn aufräume.
Seit kurzem fahre ich den VW- Bus des Heimes, um die Kinder am Morgen aus den Favelas ins Heim zu holen und abends wieder nach Hause zu bringen oder um Dinge zu transportieren oder Spenden zum Bazar in Rio “zu kutschieren”.
Autofahren hier ist eine Herausforderung, denn die Strassen sind nicht die besten, alle zwei Meter folgt ein unglaubliches Schlagloch dem anderen, wenn einem jemand im Weg ist, wird gehupt. Rechts überholen, ist hier auch kein Problem. Sonntags ist eine rote Ampel schnell relativ, dann wird halt, bevor man die Straße, kreuzt zwei Mal auf die Hupe gedrückt, um die Autos in der Umgebung zu warnen. In der kommenden Zeit, werde ich eventuell als Fahrer einspringen müssen, da der “Motorista” ausfallen wird.
Der 12. Oktober ist ein Tag, an den ich mich immer erinnern werde - ein nationaler Feiertag, der Schutzheiligen der Kinder, “Cosme e Damiao“. An diesem Tag war ich das erste Mal in einer Favela und habe dort mit geholfen, Spielsachen und Süßigkeiten zu verteilen. Die Kinder, beziehungsweise die Familien, leben dort wirklich in menschenunwürdigen Zuständen, zum Teil ohne Toiletten und wenige besitzen vernünftiges Schuhwerk, so dass Verletzungen an Fuß und Knöchel zum Alltag gehören. Das sind nur zwei Missstände von vielen. Auf Weihnachten wird wieder eine Aktion in dieser Favela stattfinden, bei der ich teilnehme und an dem unter anderem Sandalen, Essen und Notwendiges verteilt wird.
„Umbanda-Zeremonie”
Am selben Tag, abends, bin ich mit der Familie von Irani zu einer „Umbanda-Zeremonie” gegangen, bei der auf Grund von einer speziellen meditativen Art und Weise der “Espirito” von Kindern, den Körper von Erwachsenen für eine gewisse Zeit heimsucht. Irani hat auch die Sensibilität, die dafür notwendig ist und verhielt sich für fast drei Stunden, mit weiteren zwanzig Erwachsenen wie ein Kind, das mit Spielsachen spielte, Süßigkeiten in Massen in sich fraß und von speziellen Kindergärtnern beaufsichtigt wurde. Ich saß da und habe den Mund nicht mehr zubekommen, als ich diese charismatische Frau als Baby vor mir gesehen habe. An solchen Tagen fällt mir einfach immer wieder aufs Neue auf, dass ich auf der anderen Seite der Welt lebe und Dinge mitbekomme, die mir bisher in meinem Leben verschlossen gewesen sind.
Ich bin bisher sehr zufrieden mit der Abwechslung die ich von Tag zu Tag erleben darf, auch wenn das im Bezug auf das Essen nicht ganz so der Fall ist. Reis und Bohnen gehören zu jeder festen Mahlzeit dazu und wenn man das an einem Tag nicht isst, wird man gefragt, ob man krank ist.
Das Leben hier ist kein Ponyhof, wohl eher ein Rodeo, aber ich fange an damit klar zukommen und es sogar lieb zu gewinnen. Ich stehe jeden Tag mit dem Ziel auf mehr zu leisten und mehr zu entdecken und zu erleben.
Danke für diese Möglichkeit.
Jonathan

2.Bericht

Weihnachten 2008
Liebe Gemeinde,

ich hoffe, dass Ihr alle die Weihnachtszeit gut überstanden habt und gut ins neue Jahr gestartet seid. Nachdem Ihr über die Feiertage bestimmt die ein oder anderen Süßigkeit genascht und dadurch vielleicht auch das ein oder andere Kilo zugenommen habt und mit der Fasnachtszeit auch noch einiges bevorsteht, werde ich meinen Essay am Beispiel einer Praline einleiten.

Man nimmt sie in die Hand, weiß nicht wirklich, welchen Geschmack sie hat und ob vielleicht noch etwas im Innern "versteckt" ist. Nachdem man dann die ganze Praline mit einem Happen in den Mund gesteckt hat und es kein Zurück mehr gibt, löst sich zuerst die schokoladige Hülle, die einen bekannten Geschmack vorweist, bis man schließlich davon überzeugt ist, dass man aus der, aus zwanzig verschiedenen Pralinen bestehenden Schachtel die richtige Wahl getroffen hat. Sich mit der richtigen Wahl wohlfühlend, trifft man auf eine seltsam unbekannte Substanz, die einem aber doch bekannt vorkommt. Schließlich erinnert man sich daran, dass Peter sagte, dass das die schlechteste Sorte Praline sei, die existiere, und Franz meinte, sie sei doch sehr gewöhnungsbedürftig - war es Waffel, irgendeine Sorte Nuss oder vielleicht sogar... und schon hat sich eine Masse mit Bekanntem, halb Unbekanntem - und es war doch noch irgendwie Rum dabei - gebildet. Schmeckt mir nicht! Kann man es jetzt ausspucken? Wie unhöflich. Unhöflich dem Gegenüber, der einem diese angeblich so feine Spezialität angeboten hat, und der Gesellschaft gegenüber. Schön geschluckt!
Man lebt sein Leben in Baden-Baden in einem schokoladig bekannten Umfeld und lebt in seinem Alltag- weit weg von dem, was in Radio, Fernsehen und Zeitung als grausam, unterentwickelt und schrecklich bezeichnet wird. Doch es gibt etwas nicht Vorstellbares, das die Praline prägt, mit dem man sich früher oder später beschäftigen muss. Spätestens, wenn es das bekannte Schokoladige beeinflusst. Mein bekanntes Schokoladiges wurde beeinflusst und ich habe hier Dinge gesehen und erlebt, mit denen ich mich auseinandersetzen muss, ob ich will oder nicht. Es bleibt keine Zeit dafür, mich zu entscheiden, ob es mir schmeckt oder nicht, ich muss es schlucken. Und ich weiß, dass ich hier eine "gute Arbeit leiste", aber dennoch kann ich den Geschmack der Praline nicht ändern.
Aber das Gute und Schöne an einer Pralinen-Schachtel ist, dass es viele Pralinen gibt und einem manche schmecken und andere nicht. Schmecken und schlucken allerdings muss man alle, die man in die Hand und in den Mund genommen hat.

Ich war kurz vor Silvester in einer der fünf Favelas, die es im Raum Duque de Caxias gibt. Diese Favela wird von dem Kinderheim durch Kleider, Sandalen (Flip-Flop’s), Medikamente, Essen und regelmäßige Feste, wie zum Beispiel zu Weihnachten, unterstützt. Als wir an diesem Morgen bei einer Frau mittleren Alters ankamen, welche auf der anderen Seite des Flusses wohnt, der die Favela von der Zivilisation trennt, die nur halb so gut ist, wie es die Wirklichkeit vorgibt, hat es in Strömen geregnet. Das hieß für uns, dass wir uns, um das Projekt an diesem Tag durchführen zu können, in eine Schlammschlacht begeben mussten, denn in diesen Bereichen der Favela, die keinem schmecken, gibt es wenig Asphalt. Wir hatten einen Sack voll Sandalen in allen möglichen Größen bei uns und haben diese an Kinder verteilt, die in ihrem Leben noch nie Schuhe getragen haben. Kann sich jemand vorstellen, wie Füße aussehen, die schon in jedem nur erdenklichen "Dreck" gelaufen sind und Verletzungen von Anfang des großen Fußzehes bis zu den Knöcheln haben und dabei doch erst wenige Monate oder Jahre alt sind?
Vielleicht könnt Ihr Euch das ja vorstellen ???
Doch das schmeckt und riecht bei 30 Grad im Regen um einiges anders, als eine süße feinherbe schokoladige Masse. Mit diesen "süßen" Füßen in der Hand haben wir versucht, an zweihundert Kinder achtzig Sandalen, Essen, Trinken und Süßigkeiten zu verteilen.

Das Heim nimmt jeden Tag 15 Kinder aus dieser "schokoladigen Seite" der Stadt morgens um acht auf und bringt sie abends um fünf wieder zurück, doch über die Weihnachtszeit wurde diese Fürsorge eingestellt und die Kinder blieben mehr als einen Monat ohne"Gutes Schenkende".
Als ich die Kinder das erste Mal mit dem VW Bus abgeholt habe, bemerkte ich, dass sie zum Teil am ganzen Körper vernarbt waren, Verbrennungen oder Mückenstiche hatten. Das muss nicht unbedingt die Absicht der mittellosen Eltern sein, es sind die seltsam,zum " Erbrechen" schmeckenden Umstände. Sie haben gestunken und waren mit dreckigen Klamotten gekleidet; so dass man als Fahrer gedacht hat, man habe einen Haufen Kot statt der "Pralinenschachtel" auf den Rücksitz gelegt.
Ja, ich bin zur Zeit der Fahrer, da aus finanziellen Gründen der eigentlich angestellte, bezahlte Fahrer entlassen werden musste und ich somit gerade die "billigste" Alternative bin. Ich hole Spenden in ganz Caxias bis hin zum Zentrum von Rio de Janeiro ab und leiste nebenbei noch den Dienst, den ich als "Schlepper und Macher für alles" schon vorher gemacht habe.
Das Geld, das ich von der Bastelgruppe gespendet bekommen habe, wurde dafür eingesetzt, neue Reifen für den Bus zu kaufen. Aber nicht etwa, weil ich Angst hatte, dass mich die Polizei wegen zu wenig Profil anhalten könnte, sondern aus Sicherheits-
gründen. Ich hätte euch zu gerne ein Foto von den abgefahrenen mit etlichen Nägeln bestückten Reifen geschickt, doch bevor ich dazu kam, ein Foto zu machen, habe ich sie für 50 Reais an einen benachbarten Mechaniker verkauft. Für 50 Reais bekommt man hier 1 1/2 Wochen Gas.
Gas? Ja Gas, die Leute hier tanken Benzin, Gas und Alkohol und dies alles mit dem ein- und demselben Motor.
Da der Bürgermeister aufs neue Jahr gewechselt hat, erhofft sich das Heim in den kommenden vier Jahren etwas mehr Unterstützung vom Staat . Denn der vergangene Bürgermeister hat dem Heim, das das in der2- Millionen - Stadt einzige Heim mit Säuglingsstation ist, im vergangenem Jahr nicht einen Real zukommen lassen. Deshalb ist das Heim mit der Bezahlung der Angestellten immer noch im Rückstand. Es kann eigentlich mit diesem Bürgermeisterwechsel nur besser werden. Und wenn es besser geworden ist, können sie sich auch wieder einen Fahrer leisten, der mir diesen Teil meines mindestens 10- Stunden-Tages abnehmen würde.

Nachdem Ihr mir durch Eure großzügige Spende schon eine unglaublich gutschmeckende Praline zukommen habt lassen, bitte ich Euch nur noch um eines: " Nehmt die Kinder und das schützende Heim in euere Gebete auf und lasst ihnen dadurch einen Hauch von dem Geschmack einer wohlgewählten Praline zukommen".

Danke und Gott sei mit euch."